Rechtsprechung

I.

BGH
AZ: XII ZB 244/18
20.02.2019


Zulässigkeit der Einlegung von Rechtsmitteln durch den Verfahrenspfleger

 

Leitsätze

 FamFG § 317

 

a) Der in einer Unterbringungssache bestellte Verfahrenspfleger ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen; er kann in Vertretung des Betroffenen keine wirksamen Verfahrenshandlungen vornehmen und ist insbesondere nicht zur Einlegung eines Rechtsmittels im Namen des Betroffenen befugt (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 31. Oktober 2018 XII ZB 288/18 FamRZ 2019, 231 und vom 15. August 2018 XII ZB 370/17 FamRZ 2018, 1777).


b) Etwas anderes ist nur dann möglich, wenn sich der Verfahrenspfleger ausdrücklich darauf beruft, seine bisherige Rolle im Verfahren aufgeben und aufgrund eines ihm von dem Betroffenen erteilten Auftrags als Verfahrensbevollmächtigter für den Betroffenen handeln zu wollen (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 31. Oktober 2018 XII ZB 288/18 FamRZ 2019, 231 und vom 15. August 2018 XII ZB 370/17 FamRZ 2018, 1777).

 

BGH, Beschluss vom 20. Februar 2019 - XII ZB 244/18 - LG Hamburg

AG Hamburg-Wandsbek

 
Urteil
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

XII ZB 244/18
vom
20. Februar 2019
in der Unterbringungssache

 

Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

 

FamFG § 317

 

a) Der in einer Unterbringungssache bestellte Verfahrenspfleger ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen; er kann in Vertretung des Betroffenen keine wirksamen Verfahrenshandlungen vornehmen und ist insbesondere nicht zur Einlegung eines Rechtsmittels im Namen des Betroffenen befugt (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 31. Oktober 2018 XII ZB 288/18 FamRZ 2019, 231 und vom 15. August 2018 XII ZB 370/17 FamRZ 2018, 1777).

 

b) Etwas anderes ist nur dann möglich, wenn sich der Verfahrenspfleger ausdrücklich darauf beruft, seine bisherige Rolle im Verfahren aufgeben und aufgrund eines ihm von dem Betroffenen erteilten Auftrags als Verfahrensbevollmächtigter für den Betroffenen handeln zu wollen (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 31. Oktober 2018 XII ZB 288/18 FamRZ 2019, 231 und vom 15. August 2018 XII ZB 370/17 FamRZ 2018, 1777).

 

BGH, Beschluss vom 20. Februar 2019 - XII ZB 244/18 - LG Hamburg

AG Hamburg-Wandsbek

 

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Februar 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger

 

beschlossen:

 

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 19. April 2018 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 19. Januar 2018 verworfen wird.

 

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.


Gründe:

I.

 

Der Betroffene wendet sich gegen die während des Rechtsbeschwerdeverfahrens durch Zeitablauf erledigte Genehmigung seiner geschlossenen Unterbringung.

 

Auf Antrag seiner Betreuerin hat das Amtsgericht, nachdem es Rechtsanwalt T. als Verfahrenspfleger bestellt und ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte, mit Beschluss vom 19. Januar 2018 die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses beziehungsweise der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 19. Januar 2019 genehmigt.

 

Die vom Verfahrenspfleger im Namen des Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 19. April 2018 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Feststellung begehrt, dass die Beschlüsse der Vorinstanzen ihn in seinen Rechten verletzt haben.

 

II.

 

Die Rechtsbeschwerde ist nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG zulässiger-weise auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Gerichtsbeschlüsse gerichtet (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 XII ZB 195/17 FamRZ 2018, 121 Rn. 5 mwN). Sie bleibt aber ohne Erfolg, weil schon die vom Verfahrenspfleger "im Namen des Betroffenen" eingelegte Erstbeschwerde unzulässig gewesen ist.

 

Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, dass der in einer Unterbringungssache bestellte Verfahrenspfleger nicht befugt ist, im Namen des Betroffenen ein Rechtsmittel einzulegen (Senatsbeschlüsse vom 31. Oktober 2018 XII ZB 288/18 FamRZ 2019, 231 Rn. 6 f. und vom 15. August 2018 XII ZB 370/17 FamRZ 2018, 1777 Rn. 5 f.).

 

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Unterbringungssache soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Der Verfahrenspfleger hat daher in erster Linie die Pflicht, dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Geltung zu verschaffen; außerdem hat er den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Betreuten zu erkunden und in das Verfahren einzubringen. Anders als der Betreuer in dem jeweiligen Aufgabenkreis ist er jedoch nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen. Daraus folgt, dass eine vom Verfahrenspfleger ausdrücklich im Namen des Betroffenen vorgenommene Verfahrenshandlung unzulässig und der Verfahrenspfleger insbesondere zur Einlegung der Beschwerde im Namen der Betroffenen nicht befugt ist (Senatsbeschluss vom 15. August 2018 XII ZB 370/17 FamRZ 2018, 1777 Rn. 5 mwN).

 

Etwas anderes ist nur dann möglich, wenn sich der Verfahrenspfleger nicht auf sein Amt, sondern ausdrücklich darauf beruft, vom Betroffenen mit der Einlegung einer Beschwerde beauftragt worden zu sein. In diesen Fällen muss sich aus der Beschwerdeschrift aber hinreichend deutlich ergeben, dass der Verfahrenspfleger mit der Folge der Aufhebung seiner Bestellung (vgl. § 317 Abs. 4 FamFG) seine bisherige Rolle im Verfahren aufgeben und als Verfahrensbevollmächtigter für den Betroffenen handeln will (Senatsbeschluss vom 15. August 2018 XII ZB 370/17 FamRZ 2018, 1777 Rn. 6 mwN).

 

Danach war die vom Verfahrenspfleger ausdrücklich "im Namen des Betroffenen" eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts unzulässig. Die Beschwerdeschrift lässt nicht erkennen, dass Rechtsanwalt T. mit der Anbringung der Beschwerde aufgrund eines ihm erteilten Auftrags als (anwaltlicher) Verfahrensbevollmächtigter für den Betroffenen tätig werden wollte. Noch im Vermerk des Landgerichts über die Anhörung im Beschwerdeverfahren am 13. April 2018 wird Rechtsanwalt T. nur als Verfahrenspfleger ausgewiesen.

 

Das in der Beschwerdeschrift ausdrücklich "im Namen des Betroffenen" eingelegte Rechtsmittel lässt sich auch nicht in eine Beschwerde im eigenen Namen des Verfahrenspflegers umdeuten.

 

Dose         Klinkhammer     Schilling         Botur            Krüger

 

Vorinstanzen:
AG Hamburg-Wandsbek, Entscheidung vom 19.01.2018 - 707a XVII M 1742 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 19.04.2018 - 309 T 27/18 und 309 T 31/18 -

II.

BGH
AZ: XII ZB 220/20
04.11.2020


Erforderlichkeit persönlicher Anhörungen bei der Betreuungseinrichtung

 

Leitsätze

FamFG § 278 Abs. 1

 

a) Das Gericht darf sich bei seiner Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers nicht allein auf eine Befragung des Betroffenen stützen, die nicht mit der Gewinnung eines unmittelbaren persönlichen Eindrucks im Sinne einer unmittelbaren visuellen und akustischen Wahrnehmung des Betroffenen einher-geht; eine lediglich fernmündlich geführte Unterhaltung mit dem Betroffenen genügt daher den Anforderungen an eine „persönliche Anhörung“ im Sinne von § 278 Abs. 1 FamFG nicht.

 

b) Auch in den Zeiten der Corona-Pandemie kann in einem Betreuungsverfahren nur unter den engen Voraussetzungen des § 278 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 2 FamFG ausnahmsweise von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach Maßgabe von § 278 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 XII ZB 235/20 zur Veröffentlichung bestimmt).

 

BGH, Beschluss vom 4. November 2020 - XII ZB 220/20 - LG Bielefeld

AG Bünde

 

Urteil
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

XII ZB 220/20

vom

4. November 2020
in der Betreuungssache

Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

 

FamFG § 278 Abs. 1

 

a) Das Gericht darf sich bei seiner Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers nicht allein auf eine Befragung des Betroffenen stützen, die nicht mit der Gewinnung eines unmittelbaren persönlichen Eindrucks im Sinne einer unmittelbaren visuellen und akustischen Wahrnehmung des Betroffenen einher-geht; eine lediglich fernmündlich geführte Unterhaltung mit dem Betroffenen genügt daher den Anforderungen an eine „persönliche Anhörung“ im Sinne von § 278 Abs. 1 FamFG nicht.

 

b) Auch in den Zeiten der Corona-Pandemie kann in einem Betreuungsverfahren nur unter den engen Voraussetzungen des § 278 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 2 FamFG ausnahmsweise von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach Maßgabe von § 278 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 XII ZB 235/20 zur Veröffentlichung bestimmt).

 

BGH, Beschluss vom 4. November 2020 - XII ZB 220/20 - LG Bielefeld

AG Bünde

 

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. November 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger


beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 23. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 14. April 2020 auf-gehoben.

 

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.

 

Wert: 5.000 €

 

Gründe:

I.

 

Der Ehemann der Betroffenen (Beteiligter zu 1) hat durch seine Verfahrensbevollmächtigte die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung für die 1965 geborene Betroffene angeregt. Das Amtsgericht hat eine Verfahrenspflegerin für die Betroffene bestellt, ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt und die Betroffene in deren Wohnung persönlich angehört. Durch Beschluss vom 5. Dezember 2019 hat es den Beteiligten zu 1 zum Betreuer für die Aufgabenbereiche „Behörden- und Sozialversicherungsangelegenheiten, Postangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten“ und die Beteiligte zu 4 zur Berufsbetreuerin für die Aufgabenbereiche „Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge“ bestellt.

 

Gegen diese Entscheidung hat sich die Betroffene mit der Beschwerde gewendet. Das Landgericht hat das Verfahren auf die Einzelrichterin übertragen, die nach einem Telefongespräch mit der Betroffenen am 23. Januar 2020 eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen zu der Frage eingeholt hat, ob „die Betreuung für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge/Aufenthaltsbestimmung aktuell erforderlich“ erscheint. Nach Übersendung des Ergänzungsgutachtens an die Verfahrensbeteiligten hat am 17. März 2020 ein weiteres, etwa zwanzigminütiges Telefongespräch zwischen der Einzelrichterin und der Betroffenen stattgefunden. Das Landgericht hat die Beschwerde sodann ohne weitere persönliche Anhörung der Betroffenen durch Beschluss vom 14. April 2020 zurück-gewiesen.


Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, welche die Einrichtung einer Betreuung weiterhin ablehnt.

 

II.

 

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

 

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Betroffene an einer organischen Persönlichkeitsstörung sowie einer bi-polaren affektiven Störung leide. Aufgrund ihrer Erkrankung und den damit verbundenen Defiziten sei bei der Betroffenen die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit aufgehoben, und sie sei in dem angeordneten Aufgabenkreis nicht in der Lage, ihren Willen frei zu bestimmen. Der Betroffenen sei es nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht möglich, ihre Wahrnehmungen in einen situativ adäquaten Kontext einzuordnen, zumal sie sich ihrer chronifizierten psychiatrischen Erkrankungen nicht bewusst sei und sie ihre Umwelt wie auch das vorliegende Betreuungsverfahren paranoid verarbeite. Die überzeugenden ärztlichen Ausführungen seien durch die Stellungnahmen der Verfahrenspflege-rin und der Betreuungsbehörde sowie den Eindruck des Amtsgerichts bei den persönlichen Anhörungen bestätigt worden. Auch die neunseitigen Ausführungen der Betroffenen in ihrer Beschwerdeschrift belegten indiziell ihre Erkrankung. Schließlich sei die Betroffene im Beschwerdeverfahren zweimal ausführlich tele-fonisch angehört und ihre Betreuungssituation erörtert worden, insbesondere in Bezug auf den Wunsch der Betroffenen nach Einholung des Ergänzungsgutachtens.

 

2. Das hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Diese beanstandet zu Recht, dass das Beschwerdegericht die Betroffene unter Verstoß gegen §§ 278 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG vor seiner Entscheidung nicht persönlich angehört hat.

 

a) Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Be-stellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflichten aus § 278 Abs. 1 FamFG bestehen nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung mit einem ergänzenden Sachverständigengutachten eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, so ist hingegen eine erneute Anhörung des Betroffenen geboten (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Dezember 2019 XII ZB 392/19 NJW 2020, 852 Rn. 5 mwN). So liegt der Fall auch hier. Zwar ist das Ergänzungsgutachten ausdrücklich nur zur Frage der Erforderlichkeit der Betreuung in den Aufgabenbereichen Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung eingeholt worden. Der Sachverständige hat im Rahmen seines Ergänzungsgutachtens allerdings nochmals zur Grunderkrankung der Betroffenen und damit zu den medizinischen Voraussetzungen der Betreuung Stellung genommen und seine diesbezüglichen Ausführungen werden in der Beschwerdeentscheidung ersichtlich auch verwertet.

 

b) Die vom Beschwerdegericht durchgeführte fernmündliche Anhörung der Betroffenen wird den sich aus § 278 Abs. 1 FamFG ergebenden verfahrensrechtlichen Pflichten des Gerichts nicht gerecht.

 

aa) Konkrete Angaben, in welcher Form eine persönliche Anhörung nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG zu erfolgen hat, lassen sich der Vorschrift dabei nicht entnehmen. § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG verpflichtet das Gericht indessen ergänzend dazu, sich im Rahmen einer unmittelbaren Kontaktaufnahme (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 28. September 2016 XII ZB 269/16 FamRZ 2016, 2093 Rn. 13) einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Auch wenn § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG in erster Linie diejenigen Fälle erfassen soll, in denen die Kommunikation mit einem Betroffenen unmöglich ist, wird aus der besonderen Hervorhebung unabhängig voneinander bestehender Pflichten jedenfalls deutlich, dass das Gericht sich bei seiner Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers nicht allein auf eine Befragung des Betroffenen stützen darf, die nicht mit der Gewinnung eines unmittelbaren persönlichen Eindrucks im Sinne einer unmittelbaren visuellen und akustischen Wahrnehmung des Betroffenen einhergeht. Eine lediglich fernmündlich geführte Unterhaltung mit dem Betroffenen genügt daher den Anforderungen des § 278 Abs. 1 FamFG nach allgemeiner und zutreffender Ansicht nicht (vgl. MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 278 Rn. 12; Jurgeleit/Bučić Betreuungsrecht 4. Aufl. § 278 FamFG Rn. 6; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 5. Aufl. § 278 Rn. 14; Schulte-Bunert/ Weinreich/Rausch FamFG 6. Aufl. § 278 Rn. 5).

 

bb) Eine andere Beurteilung ist auch nicht durch den vom Beschwerdegericht in einem Aktenvermerk niedergelegten Hinweis auf die Corona-Pandemie gerechtfertigt.

 

(1) Wie der Senat zwischenzeitlich grundlegend entschieden hat (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 XII ZB 235/20 zur Veröffentlichung bestimmt), kann aus Gründen des Schutzes der Gesundheit des Betroffenen auch in Zeiten der Corona-Pandemie nur unter den engen Voraussetzungen des § 278 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 2 FamFG und damit lediglich ausnahmsweise von einer nach Maßgabe des § 278 Abs. 1 FamFG durchzuführenden persönlichen Anhörung abgesehen werden.


Nach § 34 Abs. 2 FamFG kann die persönliche Anhörung des Betroffenen unterbleiben, wenn von ihr erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind, wovon sich das Gericht nur auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens überzeugen kann (§ 278 Abs. 4 FamFG). Von derartigen Nachteilen ist nur dann auszugehen, wenn die persönliche Anhörung auch bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Vermeidung von gesundheitlichen Folgen für den Betroffenen zu schwerwiegenden und nicht abwendbaren Nachteilen führen würde. Die aus der Corona-Pandemie folgenden allgemeinen Infektions- und Erkrankungsrisiken führen indessen zu einer lediglich abstrakten Gesundheitsgefahr für den Betroffenen. Dieser wird regelmäßig durch Einhaltung der empfohlenen Hygienemaß-nahmen etwa durch Einhaltung des Abstandsgebots, Tragen von Schutzmasken und entsprechender räumlicher Gestaltung der Anhörungssituation begegnet werden können. Nur wenn was im Beschluss darzulegen ist die Anhörung nicht unter Einhaltung der zu Gebote stehenden Hygienemaßnahmen durchgeführt und bei gesteigert dringlichem Regelungsbedürfnis auch keine einstweilige Anordnung vor Anhörung des Betroffenen ergehen kann, darf das Gericht unter den Voraussetzungen des § 278 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wobei die durch die persönliche Anhörung drohen-den Gesundheitsgefahren für den Betroffenen durch ein ärztliches Gutachten belegt sein müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 XII ZB 235/20 zur Veröffentlichung bestimmt).

 

(2) Auch der für die Gesundheit der anhörenden Richter und sonstiger an der Anhörung zu beteiligender Personen zu gewährleistende Infektionsschutz führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Dabei kann es dahinstehen, ob eine analoge Anwendung des für Freiheitsentziehungssachen geltenden § 420 Abs. 2 FamFG in Betracht zu ziehen ist, wonach die persönliche Anhörung des Betroffenen unter anderem dann unterbleiben kann, wenn dieser an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einschränkend dahin auszulegen, dass die ansteckende Krankheit des Betroffenen für sich genommen kein ausreichender Grund ist, von seiner persönlichen Anhörung abzusehen, wenn ausreichende Möglichkeiten zum Schutz der Gesundheit der anhörenden Richter bestehen und eine die Anhörung ausschließende Infektionsgefahr durch ein ärztliches Gutachten belegt ist (vgl. BGH Beschluss vom 22. Juni 2017 V ZB 146/16 NJW-RR 2017, 1090 Rn. 10 mwN). Mithin kommt danach ein Absehen von der persönlichen Anhörung ebenfalls nur unter den bereits mit Blick auf den Schutz des Betroffenen dargestellten Voraussetzungen in Betracht (vgl. Senats-beschluss vom 14. Oktober 2020 XII ZB 235/20 zur Veröffentlichung bestimmt).

 

(3) Nach diesen Maßgaben kann der bloße Hinweis auf die Corona-Pandemie weder das gänzliche Absehen von einer Anhörung des Betroffenen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 XII ZB 235/20 zur Veröffentlichung bestimmt) noch eine Abweichung vom Grundsatz der unmittelbaren Kontaktaufnahme in einem persönlichen und mündlichen Gespräch rechtfertigen (vgl. BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Oktober 2020] § 278 Rn. 13b).

 

3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Be-deutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

 

Dose         Klinkhammer    Günter     Botur         Krüger

 

Vorinstanzen:
AG Bünde, Entscheidung vom 05.12.2019 - 12 XVII 149/19 -
LG Bielefeld, Entscheidung vom 14.04.2020 - 23 T 31/20 -

III.

BGH
AZ: XII ZB 106/20
29.07.2020


Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht wegen Geschäftsunfähigkeit

Feststellung der Geschäftsunfähigkeit (Rechtsbegriff)

 

Leitsätze

BGB § 104 Nr. 2, § 1896 Abs. 2

 

a) Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701).


b) Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei ist die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat.

 

BGH, Beschluss vom 29. Juli 2020 - XII ZB 106/20 - LG Bremen

AG Bremen-Blumenthal

 

Urteil
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

XII ZB 106/20

vom
29. Juli 2020
in der Betreuungssache

Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

 

BGB § 104 Nr. 2, § 1896 Abs. 2

 

a) Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701).


b) Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei ist die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat.

BGH, Beschluss vom 29. Juli 2020 - XII ZB 106/20 - LG Bremen

AG Bremen-Blumenthal

 

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juli 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Schilling, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger und die Richterin Dr. Krüger


beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 28. Februar 2020 wird zurückgewiesen.


Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.


Beschwerdewert: 5.000 €

 

Gründe:
I.

 

Der Betroffene leidet unter anderem an einer kognitiven Störung im Rahmen einer vaskulären Enzephalopathie bei ausgedehnter cerebraler Mikro-angiographie. Am 30. September 2015 erteilte er der Beteiligten zu 3 eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht, die er am 15. Januar 2018 widerrief. Am 9. März 2018 erteilte der Betroffene seinem Sohn, dem Beteiligten zu 2, eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.


Auf Anregung der Beteiligten zu 3 hat das Amtsgericht im März 2018 ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Nach Einholung eines Sachverständigengut-achtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung und der persönlichen Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 1 zum Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie Widerruf der den Kindern des Betroffenen erteilten Vollmachten bestellt. Zudem hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet.


Gegen diese Entscheidung haben der Betroffene mit dem Ziel einer Auf-hebung der Betreuung und die Beteiligte zu 3 mit dem Ziel, selbst zur Betreuerin bestellt zu werden, Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat ein ergänzendes Gutachten der Sachverständigen eingeholt und die Notare, die die Vollmachten beurkundet haben, sowie die Hausärztin des Betroffenen als Zeugen vernommen. Nach Anhörung des Betroffenen und der mündlichen Erläuterung der Gutachten durch die Sachverständige hat das Landgericht die amtsgerichtliche Entscheidung ersatzlos aufgehoben. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 3 mit der Rechtsbeschwerde.

 

II.

 

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

 

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die Einrichtung einer Betreuung sei nicht erforderlich, weil der Betroffene dem Beteiligten zu 2 wirksam eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erteilt habe, die nicht widerrufen worden sei. Es könne nicht aus-reichend sicher festgestellt werden, dass der Betroffene bei der Erteilung dieser Vollmacht geschäftsunfähig gewesen sei.

 

Zwar gehe die Sachverständige davon aus, dass der Betroffene zum maßgeblichen Zeitpunkt im März 2018 keine wirksamen Vollmachten habe er-teilen können, weil er aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen nicht in der Lage gewesen sei, die Folgen einer Generalvollmacht abzuschätzen. Die Aus-führungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten, ihrem Ergänzungsgutachten und anlässlich der mündlichen Erläuterung ihrer Gutachten könnten jedoch nicht überzeugen.

 

Maßgeblich für die von der Einschätzung der Sachverständigen abweichende Beurteilung sei vor allem, dass die Sachverständige nach der Komplexität des Geschäfts differenziere, indem sie eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt bejahe, jedoch die Geschäftsfähigkeit für das Erteilen einer Generalvollmacht in einer unübersichtlich geregelten finanziellen Situation verneine. Eine solche partielle Geschäftsfähigkeit, die nach dem Schwierigkeitsgrad des Geschäfts differenziere, sei für den Begriff der Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB nicht anerkannt. Zudem sei die Begründung der Sachverständigen nicht hinreichend konsistent.

 

Die Vermutung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung lasse sich auch nicht durch die Aussagen der vernommenen Notare widerlegen, die sich bei den Beurkundungsterminen von der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen jeweils ein persönliches Bild gemacht hätten. Aus deren Aussagen ließen sich keine Anhaltspunkte für eine fehlende Geschäftsfähigkeit des Betroffenen entnehmen. Der Aussage der als Zeugin vernommenen Ärztin Z. seien ebenfalls keine hinreichend sicheren Anknüpfungs-punkte für eine Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung zu entnehmen gewesen. Schließlich hätten sich auch aus der Anhörung des Betroffenen keine ausreichenden Hinweise für eine fehlende Geschäftsfähigkeit ergeben.

 

Von der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sei ab-zusehen, weil es ausgeschlossen erscheine, dass ein neu zu bestellender Sachverständige in der Lage sein könnte, angesichts des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs gesicherte Aussagen zu dem Geisteszustand des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung im März 2018 zu treffen.

 

Da die Einrichtung einer Betreuung damit nicht erforderlich sei, könne die Beteiligte zu 3 auch nicht zur Betreuerin bestellt werden. Für die Bestellung eines Kontrollbetreuers sei ebenfalls kein Raum. Konkrete Umstände, die die Bestellung eines Kontrollbetreuers rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

 

2. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand. Das Landgericht ist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die von dem Betroffenen zugunsten des Beteiligten zu 2 erteilte General- und Vorsorgevollmacht vom 9. März 2018 wirksam ist, weil es nicht mit hinreichen-der Sicherheit feststellen konnte, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war.

 

a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erteilung der Vollmacht unwirksam war, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB war, steht die erteilte Vollmacht einer Betreuerbestellung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. August 2017 - XII ZB 502/16 - FamRZ 2017, 1777 Rn. 9 mwN und vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701 Rn. 11).

 

Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei entscheidet grundsätzlich der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen (Senats-beschluss vom 2. August 2017 - XII ZB 502/16 - FamRZ 2017, 1777 Rn. 9 mwN). Insoweit bedarf es deshalb nicht zwingend einer förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 Abs. 1 FamFG. Bedient sich der Tatrichter jedoch sachverständiger Hilfe, obliegt ihm die Aufgabe, das Gutachten sorgfältig und kritisch zu überprüfen. Dies berechtigt ihn allerdings nicht, die sachverständigen Äußerungen ohne ausreichende Begründung beiseite zu schieben. Vielmehr muss das Gericht, wenn es einem Gutachten nicht folgen will, seine abweichende Überzeugung begründen. Die Begründung muss erkennen lassen, dass die Beurteilung nicht von einem Man-gel an Sachkunde beeinflusst ist. Sie ist im Rechtsbeschwerdeverfahren darauf zu überprüfen, ob das Gericht sich mit der Aussage des Gutachters hinreichend auseinandergesetzt und seine dazu erforderliche Sachkunde ausreichend dar-getan hat. Weil der Sachverständige gerade zu dem Zweck hinzugezogen wird, dem Gericht die ihm auf dem medizinischen Spezialgebiet fehlenden Kenntnis-se zu vermitteln, muss das Gericht sorgfältig prüfen, ob es seine Zweifel an dem Gutachten ohne weitere sachkundige Hilfe zur Grundlage seiner Entscheidung machen kann, etwa weil es bereits durch die ihm vom Sachverständigen vermittelte sachliche Information dazu befähigt worden ist. Fehlt es hieran und verschließt sich das Gericht der Notwendigkeit, zur Klärung seiner Bedenken den Sachverständigen zu einer Ergänzung oder mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu veranlassen oder einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen, so bewegt es sich bei seiner Überzeugungsbildung außerhalb des der tatrichterlichen Beweiswürdigung eingeräumten Bereichs (Senatsbeschluss vom 27. April 2016 - XII ZB 557/15 - FamRZ 2016, 1352 Rn. 11 mwN).

 

b) Gemessen hieran hat das Landgericht ausreichend dargelegt, warum ihm Zweifel auch an einer gegenständlich beschränkten Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Erteilung der General- und Vorsorgevoll-macht geblieben sind.

 

aa) Das Landgericht hat dies maßgeblich damit begründet, dass die Sachverständige bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nach der Komplexität des Geschäfts differenziere, indem sie eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt bejahe, jedoch die Geschäftsfähigkeit für das Erteilen einer Generalvoll-macht in einer unübersichtlich geregelten finanziellen Situation verneine. Eine solche nach dem Schwierigkeitsgrad des vorgenommenen Geschäfts differenzierende Geschäftsfähigkeit sei rechtlich nicht anerkannt. Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit seien nicht primär die Fähigkeiten des Verstands des Betroffenen ausschlaggebend, sondern die Freiheit des Willensentschlusses. Es komme darauf an, ob eine freie Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich sei oder ob von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden könne, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliege oder die Willensbildung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ausgelöst würden. Diesen Voraussetzungen für das Vorliegen der Geschäftsunfähigkeit würde die Einschätzung der Sachverständigen nicht gerecht.

 

bb) Diese Begründung lässt in ausreichendem Maß erkennen, dass die von der Auffassung der Sachverständigen abweichende Beurteilung des Land-gerichts nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist. Denn das Land-gericht nimmt - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - bei dieser Begründung keine eigene medizinische Sachkunde in Anspruch.

 

(1) Die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB ist kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat. Auch die hier für die Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen maßgebliche Frage, ob eine Person allgemein für alle schwierigen Geschäfte geschäfts-unfähig, für alle einfacheren Geschäfte dagegen geschäftsfähig sein kann, ist eine rechtliche. Sie geht dahin, ob es nach dem Gesetz auch eine partielle Geschäftsunfähigkeit gibt, die nicht nach bestimmten gegenständlichen Bereichen, sondern nach dem Schwierigkeitsgrad der in Frage stehenden Rechtsgeschäfte abgegrenzt wird (vgl. BGH Urteile vom 18. Mai 2001 - V ZR 126/00 - juris Rn. 9 mwN und vom 19. Juni 1970 - IV ZR 83/69 - NJW 1970, 1680, 1681 mwN).

 

(2) Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat sich das Landgericht bei der Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen im Wesentlichen gestützt.


Zutreffend nimmt das Landgericht dabei an, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine auf besonders schwierige Geschäfte beschränkte (sogenannte relative) Geschäftsunfähigkeit gibt (vgl. BGH Urteil vom 19. Juni 1970 - IV ZR 83/69 - NJW 1970, 1680, 1681 mwN). Zwar kann eine sonst bestehende Geschäftsfähigkeit für einen gegenständlich beschränkten Kreis von Angelegenheiten ausgeschlossen sein (sogenannte partielle Geschäftsunfähigkeit). Das ist der Fall, wenn es der betreffenden Person infolge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht möglich ist, in diesem Lebensbereich ihren Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Störung zu bilden oder nach einer zutreffend gewonnenen Einsicht zu handeln, während das für andere Lebensbereiche nicht zutrifft (vgl. BGH Urteil vom 18. Mai 2001 - V ZR 126/00 - juris Rn. 9 mwN). Deshalb kann die Wirksamkeit einer Bevollmächtigung zu bejahen sein, wenn keine Zweifel bestehen, dass der Vollmachtgeber das Wesen seiner Erklärung begriffen hat und diese in Ausübung freier Willensentschließung abgibt, sollte auch seine Geschäftsfähigkeit im all-gemeinen Rechtsverkehr nicht mehr gesichert sein (vgl. OLG München FamRZ 2009, 2033, 2034; Staudinger/ Bienwald BGB [2017] § 1896 Rn 274; Nedden-Boeger BtPrax 2019, 87).

 

Diese Form der partiellen Geschäftsfähigkeit hat die Sachverständige ihrer Einschätzung der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung jedoch nicht zugrunde gelegt. Sie hat vielmehr in ihren schriftlichen Gutachten und in ihrer Anhörung im Beschwerdeverfahren mehr-fach ausgeführt, dass der Betroffene aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen komplexe Sachverhalte nicht mehr ausreichend verstehen könne und er daher auch nicht in der Lage gewesen sei, die Folgen der Erteilung einer Generalvollmacht zu überblicken. Eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Ge-schäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt hat sie dagegen bejaht und den Betroffenen für eine in dem maßgeblichen Zeitraum vorgenommene Grundstücksübertragung für geschäftsfähig gehalten. Wie das Landgericht zu Recht ausführt, hat die Sachverständige damit ihrer Einschätzung ein Verständnis des Begriffs der Geschäftsunfähigkeit zugrunde gelegt, das rechtlich unzutreffend ist.


Damit ist das Landgericht bei seiner von der Sachverständigen abweichenden Auffassung der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen nicht - wie die Rechtsbeschwerde meint - von der medizinischen Beurteilung der Sachverständigen abgewichen, ohne die dazu notwendige eigene Sach- und Fachkunde darzulegen. Das Landgericht hat vielmehr darauf abgestellt, dass die Ein-schätzung der Sachverständigen den rechtlichen Anforderungen an den Begriff der Geschäftsunfähigkeit i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB nicht entspricht und das Gericht sich aus diesem rechtlichen Grund nicht von der fehlenden Geschäftsfähigkeit des Betroffenen überzeugen konnte.

 

(3) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Landgericht im vorliegenden Fall auch nicht gehalten, ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung einzuholen.

 

Liegt bereits ein Sachverständigengutachten vor, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens nur dann geboten, wenn die Sachkunde des bisherigen Gutachters zweifelhaft ist, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn es Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren Gutachters überlegen erscheinen (BGH Urteil vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98 - NJW 1999, 1778, 1779 mwN).

 

Diese Voraussetzungen hat die Rechtsbeschwerde nicht dargetan. Sie liegen auch nicht vor. Das Landgericht hat von der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens mit der Begründung abgesehen, es erscheine ausgeschlossen, dass ein neu zu bestellender Sachverständiger in der Lage sein könnte, angesichts des eingetretenen Zeitablaufs gesicherte Aussagen zu dem Geisteszustand des Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt zu treffen. Hiergegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern, zumal das Landgericht weder aus den Vernehmungen der Notare, die den am 15. Januar 2018 erklärten Widerruf der Vollmacht vom 30. September 2015 und die Erteilung der General- und Vorsorgevollmacht vom 9. März 2018 beurkundet haben, noch aus der Aussage der als Zeugin vernommenen Hausärztin des Betroffenen hinreichende Anhaltspunkte entnehmen konnte, die auf eine fehlende Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im März 2018 schließen lassen.

 

Anhaltspunkte dafür, dass verbleibende Zweifel an der Wirksamkeit der Bevollmächtigung des Beteiligten zu 2 zu einer Einschränkung der Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr führen könnten und deshalb die Bestellung eines Betreuers erforderlich sein könnte (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701 Rn. 12 mwN), ergeben sich aus den getroffenen Feststellungen nicht und werden von der Rechtsbeschwerde auch nicht vorgebracht.

 

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Be-deutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

 

Dose         Schilling     Günter     Nedden-Boeger     Krüger


Vorinstanzen:
AG Bremen-Blumenthal, Entscheidung vom 12.07.2018 - 60 XVII K 112/18 -
LG Bremen, Entscheidung vom 28.02.2020 - 5 T 574/18 und 5 T 575/18 -